Da
sitzt er in seinem Reihenhaus im
Musikantenviertel in Monheim, umgeben
von Umzugskartons. Auf dem
Sofa neben ihm die Dackeldame „Alia“,
den Blick auf „Col ombo“,
einen flauschig-grauen
Kartäuser-Kater gerichtet. „Sie war schon
dreimal mit auf der Insel, er
aber wird sich an die
neue Umgebung erst
noch gewöhnen müssen.“ Dieter
Clarius (76), langjähriger RP-Lokalredakteur
und Ehrenbrandmeister der
Leichlinger Feuerwehr, wandert
aus. Nach Madeira im
Atlantik, 2800 Kilometer von der Blütenstadt
entfernt. Nächsten
Samstag wird der Mann
mit dem Seehundschnäuzer seinen
Elbsegler aufsetzen, sich zum
Düsseldorfer Flughafen
kutschieren
lassen und Flug AB 2646
nehmen zu der
portugiesischen „Blumeninsel“
1000 Kilometer vor der
marokkanischen Küste. Ehefrau Sieglinde
(67), die aus Madeira stammende
Ziehtochter Gilda (53) und
die beiden Haustiere sind dann schon
dort. Und Hausrat und Auto werden
auf dem Weg sein, verladen in
einen zwölf Meter langen Container, transportiert
auf einem Frachter der
Oldenburgisch-Portugiesischen Dampfschifffahrts-Reederei.
„Ein paar Tage vor
Weihnachten kommt
der Container an“, sagt Clarius. „Das
mit Madeira war Liebe auf den
ersten Blick!“ 1972 lernte er die 58
Kilometer lange, 30 Kilometer breite und
bis zu 1800 Meter hohe Insel bei
einer Journalistenreise kennen. Nach
mehreren weiteren Aufenthalten gründete
der gemütlich daherkommende, aber
ungemein rührige
Reporter 1981 eine deutschsprachige
Touristenzeitung („Madeira
Aktuell“). 2001, nach dem
plötzlichen Tod seines örtlichen Geschäftspartners,
musste er das
Blatt einstellen, schuf aber als Ersatz
das Internetportal „Madeira News“.
„Die Insel mit ihrer
Blütenpracht, dem
angenehmen Klima
bei fast stabilen
25 Grad und dem vielen Sonnenschein
bei ausreichend,
meist nächtlichem Regen
ist wunderschön“, schwärmt
Clarius. „Und
die Menschen dort setzen dem
die Krone auf: Sie sind herzenswarm, und
es gibt kaum einheimische Kriminalität.“
Deshalb hätten
er und seine Frau schon länger mit
dem Gedanken gespielt, ihr Haus
in Ribeira Brava an der Südküste zur
dauernden Bleibe zu machen. Mit
umlaufendem Balkon und
Blick auf den Atlantik. Jetzt, da auch
Sieglinde im Ruhestand ist, gibt
es keinen Grund mehr, den Wunsch
nicht in die Tat umzusetzen. „Ich
bin ein Seemensch“, sagt d er gebürtige
Wilhelmshavener über sich.
Bevor er 1964 nach Monheim kam,
war der Sohn eines kurz vor Kriegsende
1945 gefallenen Marineoffiziers zur
Luftwaffe der neugegründeten Bundeswehr
gegangen. Als die
„Starfighter“ reihenweise vom
Himmel fielen, quittierte der
Luftwaffen-Offizier den Dienst. In Monheim fakturierte Clarius zunächst die
Bierkutscher-Rechnungen der Monheimer Brauerei, ehe er über den Dienst als
Feierabend-Reporter zur RP stieß. Seit 1974 Redakteur, war er bis zu seinem
Ruhestand 1998 mehr als 20 Jahre für die Berichterstattung
vor Allem in Monheim zuständig. Doch
auch nach
fast einem halben Jahrhundert
Rheinland ist dem an
der Waterkant Aufgewachsenen das
Norddeutsche noch anzuhören. „Journalist“
spricht er so aus, wie
es man es von Altkanzler Helmut Schmidt
kennt, mit einem J wie „Jever“
oder „Jadebusen“. Als „Seemensch“ werde
er auf Madeira deshalb auch
den Rhein nicht vermissen, ist
Clarius überzeugt. „Der Monheimer
Karneval aber wird mir fehlen“,
seufzt das Gromoka-Mitglied. Um
gleich hinzuzufügen: Auch
Madeira habe einen fidelen Brauchtumskalender.
„Der Karneval ist
brasilianisch, und es gibt herrliche
Blumen- und Weinfeste.“ Während
er auf seinem Notebook Bilder
von der Insel zeigt („Mein Internet-Zugang dort ist leistungsfähiger
als das, was ich hier
gewohnt bin“),
klingelt es an der Tür.
Männer vom katholischen Verein sozialer Dienste. Sie gucken sich
Möbel an, die Clarius dem Sozialkaufhaus vermachen
wird. Was lässt
er noch hier? „Bis auf mein Konto
bei der Raiffeisenbank und unser
Familiengrab, in dem meine Mutter
und meine erste Frau bestattet sind,
eigentlich nichts.“ Dann
fällt ihm doch noch was ein: „Mein
privates Zeitungsarchiv mit Artikeln
aus vier Jahrzehnten Monheim habe
ich unter anderem dem Stadtarchiv
überlassen.“ Das
RP-Abo hingegen nimmt er mit,
ebenso wie Monheim-Darstellungen wie das Aquarell von der Feuerwache,
das ihm die Feuerwehr geschenkt
hat. Ein Tischwimpel der
„Associacao de bombeiros voluntarios
da Ribeira Brava“, der freiwilligen
Wehr seines künftigen Wohnortes,
erinnert an die Partnerschaft der
Leichlinger Feuerwehr mit
der von Funchal, die er maßgeblich
mit anbahnte. „So etwas habe
ich auch mit Ribeira Brava und
Monheim vor.“ Aufrund
seiner „Madeira News“- Kontakte
kennt Clarius nicht nur etliche
der rund 300 auf der Insel lebenden Deutschen,
sondern auch viele
Einheimische (Gesamtbevölkerung: 270
000). Sogar den Präsidenten duzt
er nach eigenem Bekunden. Viel
wichtiger ist ihm aber die
Familie seines madeirensischen Patenkinds
André (12). „Das ist ein richtig
netter Clan, mit dem wir uns gut
verstehen.“ Ohne diesen „Familienanschluss“ hätte
er den Abflug nicht gewagt. So sind die bevorstehenden Feiertage
schon komplett verplant:
„Heiligabend sind wir bei den
einen, am ersten Weihnachtstag bei
den anderen, und am zweiten laden
wir ein.“ Wird
er noch mal nach Deutschland zurückkehren? „Bestimmt.
Wenn meiner in Emmerich
lebenden Schwester oder
hiesigen engen Freunden irgendetwas passiert,
dann auf jeden Fall.
Es sind ja letztlich nur vier Flugstunden
von Madeira.“ Und
er selbst: Wo wird einmal sein
Grab sein? Unweit seines neuen Hauses,
neben dem ein gekachelter Brunnen
„Nossa Senhora da Boa
Morte“ gewidmet ist, „unserer (lieben)
Frau vom schönen Tod“? Er freue
sich auf hoffentlich noch viele glückliche
Jahre auf Madeira, sagt Clarius,
aber seine Urne werde in Monheimer
Heimaterde bestattet: „Auf
dem evangelischen Friedhof hinter
der Altstadtkirche.
Dafür ist gesorgt.“ |